Ich mag keine Headless-Gitarren. Ich mag keine Modelling-Gitarren. Ich mag keine Steuerung per Handysoftware. Ich habe die Mooer aus reiner Neugier gekauft und war fest entschlossen, sie schrecklich zu finden. Inzwischen spiele ich das seltsame Ding mehr als alle anderen Gitarren.
Zum Konzept: es handelt sich um eine kopflose (moderate) fanned fret-Gitarre mit zwei Humbuckern und einem schlichten Dreiwegschalter. Die Verarbeitung ist tadellos, das Halsprofil erstaunlich kräftig, die Hardware brauchbar (Tuner etwas schwergängig) und das ist auch schon alles... bis man die Elektronik zum Leben erweckt, die sich per Relais in den Ausgang schaltet und dann folgende Palette eröffnet:
- Gitarren-Modelling
- Amp/Cabinet-Modelling
- Multieffektgerät
- Analoges Wireless
- Tuner
- Metronom
- Looper
- Kopfhörerverstärker
- Bluetooth-Eingang
Die theoretischen Möglichkeiten kann sich jede/r selbst zusammenreimen, den optionalen Fußschalter (unbedingt dazukaufen) vorausgesetzt, ist die kleine Gitarre im Grunde ein komplettes Rig zum Üben, Proben, eventuell sogar Performen. Die Qualität all dieser Features ist naturgemäß unterschiedlich und reicht von gut gemeintem Versuch wie der Akustikgitarren-Simulation bis zu uneingeschränkt auf der Bühne nutzbaren Funktionen wie der integrierten Funkstrecke. Solange man keine Wunder abruft, liefert dieses merkwürdige Instrumentchen tatsächlich alles.
Um den ganzen Wahnsinn auch zu kontrollieren, braucht es naturgemäß einen Editor, und der steht leider nur als Handy-App, angebunden per BT zur Verfügung. Diese Software funktioniert grundsätzlich, ist aber träge, unübersichtlich und fürs die schnelle Tweaking zwischendurch völlig ungeeignet. Man muss seine Sounds in Ruhe vorbereiten. Über den Fußschalter können Presets bis zum Abwinken abgerufen werden und auch der Dreiwegschalter ist glücklicherweise programmierbar. Ich wähle darüber üblicherweise die Pickupsimulation aus. Schalte ich diese ganz aus, bleiben mir die drei "nativen" Pickup-Positionen, womit schon mal sechs verschiedene Sounds in die Ampsimulation reinlaufen. Sollte man sich mal verlaufen oder die Batterie (USB-C) leergespielt sein: Elektronik abschalten und es bleibt eine ganz normale Gitarre.
Kleiner Kritikpunkt an der Gitarre selbst: obwohl der Hals relativ kräftig ist, reagiert er sensibel auf Luftfeuchtigkeitsschwankungen. Ich muss das Setup deutlich öfter als bei anderen Gitarren korrigieren, trotz moderater Saitenlage.
Fazit: Das Mooer-Paket kann nichts extrem gut... aber praktisch alles gut genug. Ich spiele 90% aller Proben und 100% aller "vielleicht spiele ich später was"-Sessions mit diesem Instrument. Sie ist einfach immer mit dabei. Bei ein paar Konzerten hatte ich sie auch schon im Einsatz, dort allerdings als Zweit-oder Drittgitarre und mit inaktiver Elektronik, als ganz normale E-Gitarre. Einzig im Studio sehe ich sie nicht, aber den Anspruch erhebt auch niemand.
Richtig gut.
Viel zu gut.