Ich habe ein Boss GT-1000, dessen Effektqualität, Robustheit und Bedienung (Anzahl Knöpfe, nicht die Menüführung ;) ) ich mag, wo mir aber die Amps nicht so gefallen. Ich benutze es mit einem Marshall Plexi und Suhr Reactive Load IR im Loop und wollte Amp und Suhr durch das Tonex One ersetzen, um weniger schleppen zu müssen. Der Plan ist voll aufgegangen.
Der Start war holprig, man muss erstmal rausfinden wie man anfängt: IK Product Manager runterladen, Produkt registrieren, Software runterladen. Da gibt es "Tonex" und "Tonex Editor".
Zwei fundamental unterschiedliche Dinge: der Editor ist die Software, womit man bei mit USB-C angeschlossener Hardware Presets aufs Gerät schieben und Captures aus Tonenet und von Drittherstellern laden kann, sowie Sounds tweaken mit Maus. Das ist live und interaktiv, wenn man an der Hardware einen Regler dreht, verändert es sich auch in der Software. Ich hatte massive Störgeräusche über mein USB-C Kabel, aber benutze die Hardware ja ohne PC-Anschluss auf meinem Pedalboard, also egal. Stromversorgung: USB-C vom Computer geht, 9V braucht allerdings mindestens 250 mA. IK Multimedia sagt 320 mA, mein VoodooLabs Pedal Power 2 Plus hat 2 "Line6" Ausgänge mit je 250 mA und die gehen.
Weiter betr. Software: "Tonex" ist entweder Standalone als Amp-Software mit einem Audiointerface nutzbar, oder als Plugin in der DAW zum Reampen oder live spielen. Muss man wissen.
Zur Standalone-Bedienung des Tonex One liest man viel Schlechtes, aber ich finde es erstaunlich, wie viele Modi und Ebenen man mit den paar Knöpfen zugänglich gemacht hat. Wer mehr Komfort will, muss das grosse Pedal kaufen.
Was man verstehen muss: es gibt ein Preset A und ein Preset B, standardmässig schaltet man hin und her zwischen beiden.
Das dritte Preset ist für den "Stomp Mode", wo das Pedal an oder aus ist. Gut für Effektpedal-Captures.
Es ist einfach, im Tonex Editor den drei Presets unterschiedliche Farben zu geben, die dann von den Mini-Potis angezeigt werden.
Der dritte "Scrolling Mode" cycled diese drei Presets durch, man kann also von A nach B nach Stomp und wieder nach A mit dem Fusschalter durchsteppen.
Ein "Safe Mode" verhindert Veränderungen durch Knöpfe drehen.
Und hier kommt ein umstrittenes Feature: Tonex One speichert jegliche Veränderungen sofort ab. Ich hätte das gern optional.
Noch eine Eigenschaft, die ich schwierig finde: Input Trim ist NACH dem AD-Converter. Wenn man heisse Pickups hat und cleane Sounds möchte, kann man den Eingang des Tonex One überfahren und es clippt. Ist von IK so bestätigt und kann problematisch sein.
Allerdings ist das Clipping recht harmonisch, denn mit Zerr- oder Boostpedalen kann man das Tonex sehr gut anblasen- ich nutze GT-1000-interne Drives/Boosts und es klingt sehr, sehr gut. Kein digitales Kratze-Clipping!
Leider ist die einzige Anzeige für Input Trim am Tonex One im Settings Mode (oder wie der heisst) eins der Mini-Potis, das von Schwach-Grün über Grün zu Rot anzeigt, wie der Eingangspegel ist.
WICHTIG: stellt diesen Pegel sorgfältig ein, denn die captures klingen völlig anders, wenn man sie mit zu wenig oder zu viel Pegel anfährt!
Tonenet habe ich noch nicht benutzt, ich habe drei Amps/Packs von Amalgam Audio gekauft, die unglaublich gut klingen. Tonenet ist unübersichtlich und es gibt viel Schrott, aber auch sehr gute Sachen, aber ich bin mit meinen Amalgam captures derart zufrieden, dass ich nicht weiter suchen möchte.
Weitere gute Anbieter sind übrigens Jason Sadites und Keemosawbe.
Und damit kommen wir zum Kern: gute Captures sind auf einem Niveau, das fantastisch ist. Ich finde das alles erstaunlich realistisch, auch im Umgang mit Boosts und Volumenpoti, sowie Picking Styles usw. Es ist für mich nicht zu unterscheiden von meinen Amps, ich rede von 99,8% Übereinstimmung, und ich glaube, man ist beeinflusst davon, dass man jetzt eine "Kopie" hört. Würde ich einen A-B-Blindtest machen, ich würde es nicht hören.
Wer hier das Gras wachsen hört, soll das gern tun. Ich sehe die Vorteile: für schlappe 155.- plus 3rd party captures (ca. 20.- pro Pack oder Amp) erhalte ich Zugriff zu "Amps", die mich in der Echtversion viel Geld und viel Rückenschmerzen kosten würden. Dazu kann man sehr flexibel die Lautstärke regulieren und bekommt mit FRFR-Amps das Raumgefühl oder mit Kopfhörern maximale Soundqualität.
Wenn man will, kann man ein zweites oder mehrere Tonex Ones als Effektpedale nutzen.
Die internen Effekte sind praktisch und gut genug für subtile Anwendungen. Ich habe nicht viel mit Noise Gate und den Modulationseffekten gespielt, da bei mir alles aus dem GT-1000 kommt.
Aber der Hall (insbesondere Plate) und die Delays sind sehr brauchbar.
Der EQ ist pre und post schaltbar und hilft sehr bei der Feineinstellung.
Die grösste Gefahr lauert für mich darin, dass man immer noch das bessere capture finden will, und dass es in der Natur der Technologie liegt, dass man einen Grundsound pro capture bekommt und nicht am Gain und EQ drehen kann wie an einem Amp.
Wenn man das realisiert und mit 2-3 Grundsounds für live klarkommt, ist Tonex ein mächtiges Tool.
Und mir genügt die Nutzeroberfläche des Tonex One- mit Abstrichen: ich habe mir ein Pirate Midi Polar Mini bestellt, um Midi aus dem GT-1000 in die USB-C Schnittstelle des T1 zu senden. So kann ich die Presets umschalten.
Alles in Allem eine volle Empfehlung, wer hier meckert, ist einfach zu verwöhnt. Ich bin ein alter Mann (Baujahr '80) und spiele seit 1990 Gitarre in Bands, mit viel Live-Erfahrung, wir hatten damals einen Amp und ein paar Bodentreter, und keiner hat sich je beschwert- ausser über die Lautstärke. Heute haben wir die Wahl zwischen vielen tollen Lösungen mit Zugriff auf tausende Sounds, und meckern über Details. Get real, people!
Empfehlung!